QR 10 Die Arbeit des Streuobst e.V. vor dem Hintergrund der aktuellen Streuobstsituation im Landkreis Göttingen

Um einen Überblick über den aktuellen Umfang und den Pflegezustand der Streuobstbestände im (Alt-)Kreis Göttingen zu bekommen, führte der Landschaftspflegeverband Ende der 1990er Jahre eine Streuobstkartierung durch. Eine Wiederholungskartierung fand etwa 15 Jahre später, 2012-14, statt. Nach der Kreisfusion wurden in den Jahren 2018-20 auch die Bestände im Altkreis Osterode erfasst. Aufgenommen wurden alle Streuobstwiesen außerhalb der Ortslagen mit mindestens 10 Bäumen und ab einer Fläche von 1000 m². Obstbäume in Gärten oder als Reihenpflanzung an Straßen und Feldwegen wurden nicht berücksichtigt.

Der 2014 kartierte Streuobstbestand im Altkreis Göttingen umfasst knapp 24.800 Bäume auf 582 Flächen, davon 482 Altbestände und 100 Neuanlagen, die nicht älter als etwa 15 Jahre sind. Die Gesamtfläche beträgt etwa 350 ha. Hinzu kommen fast 6700 Obstbäume auf 154 Flächen im Altkreis Osterode, deren Gesamtfläche 111 ha beträgt. Über die Hälfte aller Obstbäume sind Äpfel, gefolgt von 21% Süßkirschen und 16% Pflaumen. Die Birne erreicht einen Anteil von 8%, Walnuss und Sauerkirsche jeweils knapp 1%.

Mit 61% befindet sich der überwiegende Teil der Obstbäume in der Ertragsphase. Der Anteil der Jungbäume (16%) ist geringer als der der abgängigen (18%). 5% der Bäume stehen tot in den Wiesen.

Der langfristige Erfolg vieler Neuanlagen und Nachpflanzungen ist zudem fraglich. Nicht selten finden sich niedrigstämmige Bäumchen auf schwachwüchsiger Unterlage, die niemals zu einem gleichwertigen Ersatz für die großkronigen Altbäume heranwachsen werden. Zudem findet nur in 22% der Neuanlagen der notwendige fachgerechte regelmäßige Erziehungsschnitt statt. In 27% der Neuanlagen werden die Bäume unregelmäßig geschnitten, in den übrigen gar nicht.
Noch schlechter ist der Pflegezustand der Altbestände: nur 5% werden regelmäßig geschnitten, bei 76% der Bäume unterbleibt der Baumschnitt vollständig. Oftmals haben die Schnittmaßnahmen auch gar nicht die Erziehung oder Erhaltung vitaler, stabiler und langlebiger Baumkronen im Blick, sondern wollen die Bäume nur irgendwie auslichten, klein halten oder durch verspätetes Aufasten das Lichtraumprofil vergrößern. Viele Schnitteingriffe verringern so eher die Lebenserwartung der Bäume anstatt sie zu erhöhen.

Die Pflege des Unterwuchses erfolgt bei 53% der Streuobstflächen durch Beweidung, meist durch Schafe, etwas seltener durch Rinder oder Pferde. Oft ist allerdings der Verbissschutz unzureichend, schwerwiegende Schäden an den Stämmen sind die Folge. In 30% der Flächen wird das Grünland gemäht, die Spanne reicht von artenreichen mageren Wiesen mit ein- bis zweimaliger Mahd bis zum wöchentlich kurz gehaltenen Englischen Rasen. 17% der Flächen werden als Brache sich selbst überlassen, der Wiesencharakter geht dabei nach und nach zugunsten von Hochstauden und Brombeeren und einer zunehmenden Verbuschung und schließlich Wiederbewaldung verloren.

Der Vergleich mit der Kartierung von 1999 offenbart einen drastischen Rückgang der Streuobstbestände im Altkreis Göttingen. Mehr als ein Viertel der 1999 kartierten Flächen erfüllt inzwischen die Kriterien für die Einstufung als Streuobstwiese nicht mehr. In den verbliebenen Altbeständen ist die Zahl der Obstbäume trotz Nachpflanzungen innerhalb von 15 Jahren um über 10% zurückgegangen. Die Neuanlagen können die Verluste der Bäume und der Flächen nicht ausgleichen. Damit setzt sich der Trend aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts fort. Bereits 1951 und 1965 haben im Göttinger Raum Obstbaumzählungen stattgefunden. Im Vordergrund standen damals die Obstbäume als solche und weniger die Streuobstwiese als Flächeneinheit. Bezogen auf die Obstbaumanzahl, die 1951 in Streuobstwiesen ermittelt wurde (106.739), waren 1965 noch 76% davon erhalten, 1999 betrug die Summe der Bäume nur noch 26% der Anzahl von 1951, und 2014 nur noch 23%.

Als ein Beitrag, die Streuobstkultur im Landkreis Göttingen und darüber hinaus wiederzubeleben, wurde im Jahr 2016 der Streuobst e.V. gegründet. Der Verein hat einen landwirtschaftlichen Betrieb angemeldet, der brachgefallene Streuobstwiesen anpachtet und dafür Agrarfördergelder beantragt. Außerdem wird versucht, durch eine Ökozertifizierung der Flächen höhere Preise für Most- und Tafelobst zu erzielen. Zusammen mit den Mitgliedsbeiträgen des Vereins stehen also Gelder zur Verfügung, die der dringend notwendigen Pflege der Flächen, insbesondere dem Baumschnitt zugute kommen. Etwa 50 Mitglieder bewirtschaften inzwischen 11 Streuobstwiesen zwischen Friedland, Elbingerode und Weißenborn-Lüderode. Daneben kann der Verein brachgefallene Streuobstwiesen an neue Bewirtschafter vermitteln, Geräte zur Ernte und Pflege der Flächen zur Verfügung stellen, bei der Beantragung von Fördermitteln beraten und durch Öffentlichkeitsarbeit dazu beitragen, die Wertschätzung von Streuobst zu erhöhen.

Ein reifer Boskoop, der ins nasse Gras gefallen ist und auch Stellen mit Schorf hat, schmeckt hundertmal besser, als ein Apfel namens „Pink Lady“ aus Neuseeland.

Weitere Informationen zum Streuobst e.V. gibt es unter www.streuobstverein.de.